Papa muss Weihnachten...


 

Als Katharina das Klingeln hörte, wusste sie schon vor dem Abheben des Hörers, dass er wieder mal nicht rechtzeitig zum Abendessen da sein würde.
Aber nicht die Tatsache, dass er wieder später kommen würde, sondern der traurige Blick ihrer Tochter schmerzte sie. Gerade mal 4 Jahre alt wusste Kassandra schon, dass es immer das Gleiche bedeutete, wenn um diese Uhrzeit das Telefon klingelte. „Papa muss noch einen Bericht fertig machen!“, „Papa muss noch einen Kollegen in die Arbeit einweisen!“, „Papa muss noch an einer Besprechung teilnehmen!“, und so weiter, und so weiter.
Das waren die Sätze, die Kassandra von ihrer Mutter hörte, wenn das Telefon die Verspätung eingeläutet hatte. Und auch die Mama fand das immer sehr traurig, denn so viel gemeinsame Zeit ging dem Vater und Ehemann verloren, weil er immer so viel anderes noch „musste“.

Und dabei war doch jetzt Advent. Die Zeit von Ruhe und Besinnlichkeit. Die Zeit, die mit der Familie verbracht werden sollte um gemeinsam Vorbereitungen für Weihnachten zu machen oder auch nur gemeinsam zur Ruhe zu kommen.
Im Kindergarten hatten sie Geschichten gehört vom gemeinsamen Backen der Plätzchen, denn dafür brauchte das Christkind Hilfe. Wäre ja auch viel zu viel Arbeit fürs Christkind all’ die Weihnachtsplätzchen für die ganze Welt alleine zu backen. Schließlich hat das Christkind ja auch Adventszeit sobald die erste Kerze brennt.
Und die ganze Familie bastelt zusammen für den Weihnachtsbaum oder vorher für den Adventskranz und evtl. auch einen Adventskalender für jeden. Aber eben zusammen, also auch mit dem Papa.

Musste Papa denn außer seiner Arbeit nicht auch für sie da sein? Für sie und ihre Mutter um alle diese schönen Sachen zusammen zu erleben? Bisher hatte er keinen Tag Zeit gehabt und morgen war schon Nikolaus. Also auch gar nicht mehr so lange hin bis Weihnachten. Ja und den Nikolaus hatte Papa letztes Jahr auch schon verpasst, so wie er es wohl auch dieses Jahr tun würde.

Katharina hob den Hörer ab und noch bevor sie sich hatte melden können hörte sie Gabriel sagen: „Nein, mein Schatz, ich werde heute nicht zu spät sein“.
Sie stutzte und fragt: „Wie meinst du das? Besser gefragt – wozu zu spät oder eben nicht?“
„Heute Abend bin ich zum Essen zu Hause. Und wenn dann der Nikolaus zu uns kommen will, dann bin ich auch da. Und überhaupt werde ich jeden Abend da sein und ganz besonders auch am Heiligen Abend“.

Katharina glaubt nicht, was sie soeben gehört hat. Noch nie hat Gabriel angerufen, wenn er pünktlich Heim kam – was sowieso selten genug passierte. Immer nur Verspätungen hatte er angekündigt oder gar plötzliche Geschäftsreisen. Dann hatte sie ihm sogar den Koffer gepackt zum Bahnhof oder Flughafen bringen müssen.
Vorsichtig fragte Katharina nach: „Also, Gabriel, versteh’ mich bitte nicht falsch, Kassandra und ich freuen uns sehr, wenn du heute da bist. Aber was ist passiert? Noch nie hast du angerufen, wenn du nicht später oder gar nicht Heim gekommen bist? Und jetzt kündigst du dich an zum pünktlich sein für heute und die ganzen kommenden Tage. Also, was ist passiert?“

Tja, was war passiert? So ganz genau wusste das Gabriel selbst nicht. Und genau erklären konnte er es genau so wenig, wie selbst genau verstehen was mit ihm heute passiert war. Er fühlte sich ein bisschen in das Charles Dickens-Märchen „Scrooge“ versetzt, wenn er an den heutigen Nachmittag zurückdenkt.
Seinen neuen Kunden, mit dem er heute den ersten Termin gebucht hatte, hatte er sich doch ganz anders vorgestellt. Die Sekretärin brachte ein kleines zierliches Mädchen in sein Büro mit den Worten: „Dein Termin, Gabriel“, und verschwand verschmitzt lächelnd. Er hatte aufgeschaut und blickte direkt in die großen tiefblauen Augen des zierlichen Kindes, die ihn fest und durchdringend ansahen. Eigentlich hatte es in dem Gespräch um die wesentlichen Strukturen von Gemeinschaft gehen sollen und jetzt stand da dieses Mädchen vor ihm. Er hatte sich geräuspert und dann gesagt: „Tja, ich glaube, du bist hier bestimmt falsch. Oder hast du dir einen Scherz mit mir erlaubt?“
„Nein“, hatte die Kleine daraufhin gemeint, „ich bin hier genau richtig und ein Scherz ist das auch nicht.“ Sie war direkt auf Gabriel um den Schreibtisch herum zugekommen, hatte sich auf seinen Schoß gesetzt und den völlig Überraschten bei den Händen gegriffen. Dann sagte sie folgendes:

„Gabriel, ich habe immer tolle Dinge erlebt genau in den Zeiten, in denen er den Menschen nur um die Familie ging. So schöne Dinge kann man gemeinsam tun und sich dabei die herrlichsten Geschenke machen. Und alles was mir wirklich etwas bedeutet war bisher selbst gemacht oder einfach nur die Zeit, die mit mir verbracht wurde. Alles kann man mit Geld kaufen, aber davon ist rein gar nichts wirklich wichtig. Denn alles, was wirklich wichtig ist, ist mit Geld nicht zu kaufen oder zu bezahlen. Zeit, miteinander und für einander. Liebe für den nächsten und besonders alle die uns nah sind.“
Dann war sie aufgesprungen und zur Tür gegangen, hatte sich zu dem mit offenem Mund da sitzenden Gabriel umgedreht und gesagt: „Merk dir das, denn genau das allein ist wichtig!“

Dann hatte sich die Tür hinter dem Kind geschlossen und Gabriel hatte da gesessen und nicht gewusst, ob er gerade geträumt hatte. Auch sich an den Kopf klopfen hatte ihm das nicht bestätigen könne. Er wollte sich gerade wieder seinen Akten widmen, aber zog dann seine Hand doch wieder zurück. Dieses Kind, wer war es und wieso hatte sie einen Termin bei ihm haben können. Er hatte seine Sekretärin dazu gerufen und diese schwor Stein und Bein, dass er weder gerade einen Termin gehabt habe, noch dass sie ihm ein kleines Mädchen ins Büro gebracht hätte. Im Gegenteil erkundigte sie sich ob bei ihm alles in Ordnung sei bevor sie das Büro wieder verließ.
Lange hatte er da gesessen und über das Geschehene oder eben nicht Geschehene nachgedacht. Dann hatte er den Hörer genommen und seine Frau angerufen, der er jetzt einfach alles so erzählte, wie er es erlebt hatte.

„Komm jetzt nach Hause, mein Schatz“, sagte Katharina zu Gabriel „und lass uns gemeinsam zu Abend essen, denn jetzt ist auch Kassandra wieder da. Sie war einige Zeit nicht zu finden.“ Und als alle drei zusammen beim Abendessen saßen, da kam der Nikolaus. „Das wird das Christkind sehr freuen“, sagte er zu Gabriel und alle drei bekamen ein kleines Geschenk.

(Quelle: www.weihnachten.de)